F_in zu Mondiali 2008
17. Juli 2008
Mondiali Antirazzisti – kein geschützter Raum
Die Mondiali Antirazzisti finden jährlich seit 1997 in Italien statt. Inzwischen nehmen über 6000 Personen aus der ganzen Welt an dem Turnier teil. Die Mondiali haben sich dem Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung verschrieben. An vier Tagen und Nächten begegneten sich Fans unterschiedlicher Herkunft zu einem großartigen Fußballfestival. Neben dem Fußballspielen konnten auch andere Sportarten ausprobiert werden und neue Spielregeln wurden getestet. Dabei sollte der Respekt für einander im Mittelpunkt stehen.
Gerade das ist aber diesmal gründlich daneben gegangen!
In der Nacht von Freitag auf Samstag wurde auf dem Gelände der Mondiali eine Teilnehmerin vergewaltigt. Sie meldete den Vorfall umgehend den Behörden und wurde dabei vom Mondiali-Staff unterstützt. Am Samstagabend berichteten die VeranstalterInnen auf der Hauptbühne vom Vorfall. Erschreckenderweise kam es am selben Abend erneut zu einer gezielten sexuellen Attacke gegen eine Teilnehmerin auf dem Campinggelände. Die Frau konnte den Angreifer mit Hilfe einer Zeugin in die Flucht schlagen.
Die VeranstalterInnen der Mondiali entschieden sich daraufhin, das Turnier für den nächsten Tag abzusagen und stattdessen eine große Diskussionsrunde zu Sexismus und sexueller Gewalt gegen Frauen anzusetzen.
Die TeilnehmerInnen der Diskussionsrunde zeigten sich geschockt über die Vorkommnisse und verurteilten diese auf das Schärfste. Viele Frauen wiesen darauf hin, dass Sexismus und sexuelle Gewalt Teil unserer Gesellschaft sind. Die Mondiali seien kein geschützter Raum, im Gegenteil, TeinehmerInnen berichteten von teilweise massiver sexistischer Anmache und körperlichen Annäherungsversuchen gegenüber Frauen. Sie forderten, als fußballbegeisterte Menschen und nicht als Sexobjekte wahrgenommen zu werden. Im Plenum wurde beschlossen, Sexismus und sexuelle Gewalt weiter zu thematisieren, da die Bekämpfung von Rassismus nicht von der Bekämpfung von Sexismus und Homophobie zu trennen ist. Zudem wurde beschlossen, ein Internetforum einzurichten, um neue Wege und Methoden im Umgang mit Sexismus und sexueller Gewalt bei der Mondiali zu entwickeln.
Das Netzwerk „F_in Frauen im Fußball“ begrüßt diese Beschlüsse, merkt aber kritisch an, dass sich die OrganisatorInnen nicht entscheiden konnten, das Turnier bereits am Samstag zu stoppen. Schon nach der ersten Vergewaltigung hätte dies geschehen müssen. Weiterhin bedauert F_in die Presseerklärung der OrganisatorInnen (unter der Überschrift „The winners are the ladies“!), die den Eindruck erzeugt, dass die Vergewaltigung „nur“ zufällig in der Nähe des Turniers stattgefunden habe. Mit keinem Wort wird erwähnt, dass es zwei Fälle von sexueller Gewalt gegeben hat und dass beide Opfer Teilnehmerinnen der Mondiali waren. Ein Wort des Bedauerns und der Solidarität wäre wichtig gewesen. Auch die Täter scheinen aus Sicht der OrganisatorInnen nichts mit der Mondiali zu tun zu haben. Dies ist eine Mutmaßung, denn die Täter blieben bis dato unerkannt. Ähnliche „Entschuldigungsmechanismen“ sind aus dem Umgang vieler Fußballvereine und –funktionäre mit rassistischen Vorfällen nur zu gut bekannt, umso bedauerlicher, dass auch bei einer erklärtermaßen antirassistischen Veranstaltung wie den Mondiali zu diesen Defensivstrategien gegriffen wird, wenn es um sexistische Vorfällen geht.
F_in lädt alle ein, mit uns über die Vorgangsweise der Mondiali-VeranstalterInnen zu diskutieren und darüber, wie und ob im nächsten Jahr die Mondiali mit dem Thema umgehen könnte. Wir hoffen, dass das Ziel einer Neukonzeption der Veranstaltung mit einem geschärften Blick auf Sexismus und Homophobie in die Tat umgesetzt wird und sind gerne bereit, bei diesem Prozess mitzuarbeiten.
Hier die Antwort von "Progetto Ultrà" bzw. dem Organisationsteam der Mondiali - die dort angekündigten Änderungen auf der Website sind inzwischen passiert:
Liebe F_in / Frauen im Fußball,
mit dieser E-mail antworten wir auf euren Text „Mondiali Antirazzisti – kein geschützter Raum“. Vor allem danken wir für eure Bereitschaft, mit uns – und vielen anderen TeilnehmerInnengruppen der Mondiali – zusammen zu arbeiten, um einen Weg zu finden, der zu einer aussagekräftigen Thematisierung und konkreten Anwendung von Praktiken gegen Sexismus und Homophobie im Verlauf der nächsten Auflage der Mondiali Antirazzisti führt.
Eine Anteilnahme und breite aktive Beteiligung an diesen Themen ist unbedingt notwendig anbetrachts der beiden organisierten Programmpunkte während der Mondiali (der Workshop am Freitagnachmittag, wo Materialien gegen Sexismus bzw Gewalt gegen Frauen produziert worden waren, und der Umzug bei dem dann am Freitagabend diese Materialien Teil der macho freezone waren), die von vielen jener TeilnehmerInnen, die sich Sonntag als die ersten VerfechterInnen des Kampfes gegen Sexismus betrachteten, übergangen wurden.
Aber kommen wir zu ein paar kontroversen Punkten in Eurer Erklärung, die nach unserer Meinung einige Ungenauigkeiten enthalten.
Im Fall der ersten Vergewaltigung (der zwischen Freitagnacht und Samstagmorgen geschehen ist), möchten wir unterstreichen, dass es uns von der Mondiali-Organisation nicht gelungen ist, die Frau zu sehen oder zu sprechen. Die Frau hat sich bei der Ersten Hilfe der Mondiali Samstagmorgen um 7.25 Uhr gemeldet. Sie hat zu der Sanitäterin und zum Verantwortlichen der Ersten Hilfe gesagt, sie sei vergewaltigt worden, von einer oder zwei Personen mit schwarzer Hautfarbe. Die Sanitäterin hat ihr angeboten, sie nach Bologna ins Krankenhaus zu begleiten, wo sie ärztlich untersucht werden und Anzeige erstatten könne. Nach der Ankunft im Krankenhaus hat die Frau dann aber alle Prozeduren abgelehnt und ist weggegangen.
Wir haben von dem Fall erfahren, als mehrere Journalisten begannen, uns ab 8.30 Uhr mit Anrufen zu bombardieren, um Erklärungen von uns zu einem Ereignis zu bekommen, dass wir noch nicht kannten.
Samstag haben wir den ganzen Tag lang versucht, Informationen zusammen zu tragen: Wir haben mit der Sanitäterin und dem Verantwortlichen der Ersten Hilfe gesprochen – den beiden einzigen Personen, die mit der Frau geredet hatten – und dann mit der Polizei (Carabinieri), die von der Krankenhaus-Ambulanz gerufen wurden, um die Anzeige aufzunehmen, die dann aber nicht erstattet wurde. Es gab unterschiedliche und ungesicherte Informationen.
Wir haben dabei keine Einzelheiten mitgeteilt bekommen, sondern nur, dass sie (die Krankenhaus-Ambulanz als auch die Carabinieri) nicht sehr überzeugt waren von der Glaubwürdigkeit der Tatschilderung.
Die Carabinieri haben eine Beschreibung der Person dargelegt (37 Jahre alt, aus Bolgona etc.) und wir haben versucht herauszufinden, ob jemand von den Teams, die aus Bologna kamen, sie kannten, was jedoch nicht der Fall war. Das hat uns dazu bewogen anzunehmen, dass die Frau nicht Teilnehmerin der Mondiali war, sondern ein der vielen AbendbesucherInnen, die aus Bologna zu den Mondiali als openair event gekommen sind. Für uns wäre es wichtig gewesen, mit ihr zu sprechen um zu verstehen, was geschehen ist und um uns um sie kümmern und ihr unsere Hilfe und Solidarität anzubieten zu können. Das war und ist aber leider bis heute nicht möglich (wir sagen bis heute, weil es vielleicht eine junge Frau aus Bologna gibt, die sie vom Sehen kennt und über die wir Kontakt zu ihr aufnehmen können).
Vielleicht könnt ihr jetzt verstehen, warum es nicht leicht war, diesen Vorfall zu verstehen und sofort eine richtige Antwort darauf zu geben. Ausserdem konnte niemand von uns alleine eine Entscheidung treffen. Die Diskussion in unserer Orga-Gruppe und dann mit den TeilnehmerInnen war absolut notwendig! Wir sind fest davon überzeugt, dass diese kollektive Vorgehensweise letztendlich stärkere Wirkung hat.
Einfacher war es, ein klares Signal nach der Aggression zu geben, die Samstagnacht gegenüber einer Teilnehmerin an den Mondiali verübt wurde. Einfacher deshalb, weil es immer Praxis der Mondiali war dass unmittelbar nach dem Auftreten eines Problems oder eines gravierenden Falles, die involvierten TeilnehmerInnen sofort Kontakt mit uns aufnehmen. Und so war es auch mit der jungen Frau, die Opfer der sexuellen Aggression geworden war, und mit der Gruppe, zu der sie gehörte. Informationen bekommen und auf dem Laufenden gehalten werden, hilft dabei schneller konkrete Antworten geben und adäquater reagieren zu können. Nach dem Ereignis von Samstagmorgen und zahlreichen Hinweisen auf Belästigungen war schon Samstagabend von der Bühne der Hinweis darauf gegeben worden, dass am Sonntag eine Plenumsversammlung gegen Sexismus und Gewalt gegen Frauen stattfinden würde. Der Vorfall während der Nacht auf Sonntag wurde dann der Auslöser für die Erkenntnis, dass die Mondiali Antirazzisti so nicht fortgesetzt werden können und dass die Versammlung von Sonntagmorgen ein unüberhörbares und unmissverständliches Signal geben müsse.
In einem Punkt habt ihr sicher Recht: in unserem anbetrachts der Ereignisse hektischen Vorgehen haben wir es versäumt, gegenüber den Frauen angemessen unsere Solidarität auszudrücken (das werden wir in unserer Erklärung ergänzen). Wir möchten jedoch auch darauf hinweisen, dass wir den Fall von Samstagnacht nicht öffentlich erwähnt haben, weil die junge Frau – die bei der Versammlung am Sonntag anwesend war - selbst nicht darüber sprechen und ihn publik gemacht haben wollte.
Abschließend wollen wir noch ein paar Aspekte nennen, die ihr möglicherweise nicht kennt, die aber, unserer Meinung nach, einen Grossteil dessen verursacht haben, was geschehen ist.
Wir wissen, dass einige Gruppen bzw einzelne Teilnehmer der Mondiali Macho-Verhaltensweisen an den Tag gelegt haben und dass Frauen belästigt worden sind. Das, was es in diesem Jahr an neuen Schwierigkeiten gegeben hat, ist allerdings auf den großen abendlichen Zustrom aus Bologna zurückzuführen. Im vergangenen Jahr, dem ersten in der Nähe von Bologna, hatten wir weniger abendliche Besucher aus Bologna. Dieses Jahr gab es einen regelrechten Boom mit allen seinen Konsequenzen. Viele sind mit der richtigen Einstellung gekommen, andere hingegen haben Frauen bedrängt, Diebstahl und Dealerei organisiert. In der Erinnerung an den positiven Ablauf im letzten Jahr haben wir – leider – diese Probleme unterschätzt.
Deshalb glauben wir, dass im kommenden Jahr erhebliche Arbeit auf zwei Ebenen zu leisten sein wird. Die erste betrifft die TeilnehmerInnen: Information, Sensibilisierung und eventuell Anmeldungsbeschränkungen. Die zweite Ebene betrifft die Abendbesucher, vor allem jene, die vor kommen, um das Fest auszunutzen und weniger um es zu im Sinne der Mondiali zu leben und wirklich daran teilzunehmen.
Darüber wollen wir im Herbst auf verschieden Diskussionsabenden und in mehreren Städten mit allen Mondialiteilnehmerinnen offen diskutieren. Wir brauchen die Unterstützung vieler Menschen um „Antisexismus“ bei den Mondiali Antirazzisti 2009 eindeutig thematisieren zu können!
Mit diesem Brief hoffen wir, eine wenig mehr Klarheit über unsere Sicht als Organisatoren und einige Informationen über die Vorfälle selbst gegeben zu haben.
Auf eure Hilfe und aktive Mitarbeit an der Verbesserung der Mondiali des nächsten Jahres vertrauend, grüßen wir euch herzlich,
Orga Team Mondiali Antirazzisti